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Nach einem sehr überzeugenden Menü im Cheval Blanc stand bei unserem Basel-Besuch am folgenden Mittag ein Kontrastprogramm auf der Agenda: das Stucki. Der Gegensatz zwischen den beiden Restaurants könnte größer kaum sein – was wir ausdrücklich positiv verstanden wissen wollen. Kocht im altmodisch-gediegenen Cheval Blanc mit Peter Knogl ein "gestandenes Mannsbild" eine durch und durch klassische Küche, so steht im puristisch-modernen Stucki eine Frau am Herd: Tanja Grandits, deren modernistische Kreationen mindestens ebenso filigran anmuten wie sie selbst.
In der kleinen Gruppe international renommierter Spitzenköchinnen gehört Grandits sicherlich nach ganz vorne. Ihre bisweilen orientalisch und asiatisch angehauchten Gerichte gelten als absolut harmonisch, hochfein und zugleich aromenstark. Besonders aber reizte uns ihre simpel und schlüssig wirkende Philosophie: "Für jedes Gericht gibt es ein Hauptaroma und eine Hauptfarbe“, sagte Grandits in unserem Interview.

Aufgewachsen in Süddeutschland, nahm sie halbherzig ein Chemiestudium auf, das sie jedoch schon bald wieder abbrach, um ihrer wahren Berufung zu folgen. Sie absolvierte eine Kochlehre in der Traube Tonbach, ging anschließend ins Londoner Nobelhotel Claridge‘s. Im südfranzösischen Château de Montcaud in Bagnol-sur-Cèze lernte sie den dortigen Küchenchef René Graf kennen, der inzwischen ihr Ehemann ist (nun René Graf Grandits). 2001 eröffneten die beiden ihr erstes gemeinsames Lokal: das Thurtal in Eschikofen. Dort wurde Tanja Grandits 2006 vom Gault Millau zur "Köchin des Jahres" gewählt. Im gleichen Jahr kam ihre Tochter Emma zur Welt – auch das eine bemerkenswerte Seltenheit: Uns sind nicht viele Köchinnen und -Köche der absoluten Spitze bekannt, die eine Familie gründen.
2008 übernahmen Tanja und René Graf Grandits schließlich das legendäre Restaurant Stucki in Basel, einstige Wirkungsstätte des ebenfalls längst legendären Hans Stucki. Dieses zweifach besternte Urgestein der schweizerischen Topgastronomie war dafür bekannt, nur Dinge zu servieren, die er selbst gerne aß – und wenn es einfach ein Stück gebratener Blutwurst war. Und soviel können wir vorweg nehmen: In gewisser Weise setzt Tanja Grandits diese Philosophie einer sehr persönlich geprägten Küche fort, …
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… welche mit Pulpo, Sumac Kushi und Himbeersenf ein Amuse schickt, das in seiner violetten Farbigkeit ganz im Stile des hauseigenen Corporate Designs daherkommt und geschmacklich mit der Balance zwischen Fleischigkeit und Säure gefällt, während der Couscous-Feta-Fritter mit Pastinaken und Safran seinen Reiz eher durch den Kontrast zwischen sehr krosser Hülle und weichem Kern entwickelt.
Der Wachtel-Lolli mit der vegetabil-säuerlichen Pointierung durch Avocado und Sauerampfer ist ebenso gelungen wie die Saiblingskrokette mit Vanille, Physalis und Süßkartoffel mit dem Spiel von Umami, Süße und Säure.
Nach diesem Amuse-Quartett sind wir einerseits beeindruckt – vor allem von der aromatischen Präsenz der Häppchen, die kaum unter dem Frittieren gelitten hat - andererseits aufgrund der doch etwas hohen Anzahl an "Lollis" aber auch irritiert, was genau uns im Aromamenü erwarten würde. Die Spannung ist also hoch…
…. und löst sich mit der Erbsen-Anis-Gazpacho mit Ananas in puren Genuss auf. Ein Gericht, das wie der Frühling schmeckt: sehr leicht, von einer vegetabilen Frische getragen und mit leicht süßlichem Charakter, akzentuiert durch die milde Anis-Würzung. Und herrlich ergänzt durch die krosse, würzig-grün schmeckende Estragon-Hummus-Krokette, welche abermals perfekt ausgebacken ist.
Mit der Langustine wird es orange – und wir erleben den seltenen Moment, dass sich ein Gericht aromatisch einig mit seiner Farblichkeit zeigt. Zimtblüten-Gelée, Orangen, Karotten und Haselnuss verbinden sich zu einer Melange, welche mal mild-würzig, mal leicht säuerlich, dann wieder süßlich oder nussig schimmert und das wunderbar gegarte Krustentier (mit der hier schön krossen Kruste) in den Fokus rückt. Das schmeckt alles frisch und belebend, gleichzeitig sehr wärmend – orange eben.
Ein schmelzender Ricotta-Flan bildet im Zusammenspiel mit verschiedenen Ausarbeitungen des Spargels und ergänzt um einen Basmati-Krokant eine sehr spannende und zugleich harmonische Basis für den nächsten Gang. Der Star ist hier allerdings die Spargel-Jasmin-Essenz, die mit ihrer milden Säure das Aroma des Edelgemüses so präsent in den Vordergrund rückt, dass wir die Einlagen fast nicht mehr brauchen. Dass die cremige Konsistenz zudem für ein erfülltes Mundgefühl sorgt, tut das Übrige, um uns einfach glücklich zu machen.
Danach schickt Tanja Grandits eine Jakobsmuschel, die fernab der immer gleichen Betonung ihres süß-nussigen Charakters von den Begleitern kontrastiert und damit umso stärker in Szene gesetzt wird. Dabei ist die Kombination der leicht herben Miso-Hollandaise, dem anisigen Fenchel und der betont würzigen Pinien-Gremolata in sich so stimmig und austariert, dass die Coquille in einnehmender Präsenz erstrahlt. Kurz: eine St. Jacques, wie wir sie lange nicht mehr gegessen haben.
Mit Morcheln, Sellerie, Brioche und Mocca-Schaum kommt ein vegetarisches Kleinod auf den Tisch, dessen Finesse im Hin und Her zwischen den herzhaften, erdigen, süßen und herben Elementen liegt. Dabei ist es besonders die Kombination von Morchel und Mocca, die uns begeistert: Das schmeckt reichhaltig und fast schon fleischig – was durch die röstigen Noten des Moccas nochmals unterstrichen wird. Ungewöhnlich und gelungen.
Nach dem vegetarischen Intermezzo präsentiert Tanja Grandits einen Zander, flankiert von einem Produkt-Potpourri mit verschieden Nuancen grüner Aromen. Da haben wir Schärfe (Frühlingslauch-Couscous und grünes Curry), herbe Noten (Grüner Tee) und kräutrige Frische (Salat von Wicken und Spinat), die sich alle zu einem komplexen, aber doch harmonischen Ganzen verbinden und den Fisch differenziert akzentuieren.
Wie bei der Gazpacho und der Langustine zuvor, entsteht hier eine synästhetische Einheit aus Geschmack und Farbe. Alles schmeckt deutlich grün, was sich allein durch die farbliche Assoziation einstellt, vor allem aber eines bewirkt: Das Gericht wirkt frisch, erquickend und leicht.
In dieselbe Kerbe schlägt dann auch die Maispoularde mit Kreuzkümmel, Honig und Mango-Relish. Die Poularde ist von saftiger Fleischigkeit und findet im fruchtig-süßen und zugleich würzigen, aber zu keiner Zeit dominanten Miteinander der Begleiter einen spannenden Widerhall ihres milden Charakters.
Die Erfrischung vor dem Hauptgang ist wiederum vegetarischer Natur - und wiederum ungewöhnlich. Blumenkohl, Mandel-Joghurt, Kurkuma-Pickles und Kalamansi einigt erdige Noten (Kohl) mit edelnussiger Süße (Mandel-Joghurt) und leichter Säure (Joghurt und Kalamansi), dezent betont durch die punktgenau dosierte Kurkumawürzung.
Mit dem Berg-Milchlamm mit Veilchenlack, Wacholder-Gnocchi, Cassis und Artischocken kommen wir zum farblich herausragenden Hauptgang des Menüs. Aber auch geschmacklich passiert hier einiges: wunderbar das Lamm (Rücken, Kotelett, Niere), würzig-zart die Gnocchi, säuerlich-erdig das Drumherum und kräftig die Sauce. Da können wir nicht widerstehen und nehmen gerne eine weitere Portion Fleisch – ein Wunsch, den uns die Küche erfüllt.
Mit dem Käsewagen übernimmt René Graf Grandits die Regie bei Tisch und präsentiert uns zum Teil grandiose Käse aus der Schweiz, die wieder einmal deutlich machen, wie erfüllend es sein kann, ein hervorragendes Produkt für sich sprechen zu lassen.
Danach erfreuen wir uns am Pré-Dessert, welches mit seiner Kombination aus fruchtsüßen Erdbeeren, würzigem Tandoori-Espuma, cremigem Karamell-Panna-Cotta und einer blumigen Litschi-Jus genau jene Erquickung bringt, die wir uns an dieser Stelle wünschen…
… und ist gleichzeitig die ideale Überleitung zum ersten Akt des süßen Finales: Rhabarber mit Galgant-Sorbet, weißer Schokolade und Hibiskus-Emulsion. Ein komplex aufgebautes und dabei sehr eingängiges Dessert, das vor allem durch das Pendeln zwischen belebender Säure (Rhabarber, Hibiskus), Süße (Schokolade) und Würzigkeit (Galgant) brilliert. Dabei ist die Wirkung am Gaumen so nachhallend, so frisch und so begeisternd, dass wir kurzerhand den Weg in die Küche antreten, um der Pâtisserie unseren Dank auszusprechen – und um Nachschlag zu erbitten.
Auch dieser wird uns gewährt – und das gleich dreifach. Zunächst haben wir mir Schokolade, Cassis-Tee-Mousse, Veilchen-Gelée, Kakao, Quinoa-Krokant doch eher schwere Kreation vor uns. Hier gelingt es trotz abwechslungsreichem Arrangement nicht, die schokoladige Vollmundigkeit mit den floral-säuerlichen Elementen aufzulockern. Ein Eindruck, der subjektiv sicherlich durch die Unbeschwertheit der Gerichte zuvor noch verstärkt wird. Dennoch bleibt festzuhalten, dass wir hier auf einem sehr hohen Niveau kritteln.
Ananas mit Passionsfrucht-Sternanis-Crème liest sich danach fast schon klassisch, wird im Stucki allerdings um ein Milchmarmelade-Granité und Granola erweitert, was in ein abermals variantenreiches Dessert mündet und einfach Spaß macht. Löffel für Löffel pflügen wir uns so durch das Wogen aus süßer Frucht, würzig-säuerlicher Crème, milchigem Knusper und röstigem Crunch.
Der letztlich dann doch finale Akt setzt noch einmal ein Ausrufezeichen: Rote Bete, Kaffee-Mousse, Blutorangen-Gelée, Kardamom-Crumble verbindet Erdigkeit mit Citrus-Süße und ebensolcher Säure, komplimentiert durch die Kaffee-Note, welche durch die cremige Textur wunderbar eingefangen wird, und unterlegt vom Biss der Crumbles, die mit der Karadamom-Note eine Wärme im Mund hinterlassen. Anders gesagt: alles andere als alltäglich und überaus spannend!
 - Für das Video-Interview mit Tanja Grandits das Bild anklicken
Im Restaurant Stucki fügt sich alles zu einem wundervollen Ganzen. Küche, Service und Ambiente schaffen eine ganzheitliche Harmonie, die in dieser Ausgestaltung wohl nur von einer Küchenchefin ausgehen kann. Eine Harmonie, die sich auch in den Gerichten widerspiegelt.
Tanja Grandits hat über die Jahre hinweg eine ganz eigene Idee des Kochens etabliert, in der die Farbe eines Gerichts eine ebenso wichtige Rolle einnimmt wie die Produkte und die Würzung an sich. Dass die Farbe eine wichtige Rolle beim Essen spielt, wissen wir spätestens seit Tomaten im Supermarkt verkaufsfördernd orangerot angeleuchtet werden. Auch haben Chefs wie Grant Achatz und Sang Hoon Degeimbre mit der farblichen Präsenz eines Produkts als Bestandteil der Konzeption eines neuen Gerichts gespielt. Im Stucki aber ist jeweils die Kopplung von kulinarischer Güte und Farbigkeit so eng und harmonisch, dass wir hier durchaus von einer synästhetischen Küche sprechen wollen.
Nur serviert uns Tanja Grandits nicht das schreiende Rot, sondern ein wärmend-belebendes Orange und ein frisches, beruhigendes Grün. Und so verlassen wir das Haus in einem zenartigen Geisteszustand, der weniger mit dem verabreichten Alkohol denn mit den überwältigenden Sinneseindrücken korreliert ist.
Fazit: Tanja Grandits hat das Prinzip der kulinarsichen Farbenlehre in einer Perfektion etabliert, in der das Menü nicht nur reine Abfolge von Aromen und Geschmackseindrücken ist, sondern auch als visuelles Erlebnis besticht – Cuisine Colorit par excellence!
Stucki
Bruderholzallee 42
4059 Basel
+41 61 3618222
Stucki-Website
Bewertungen: 1* (Michelin) / 17 Punkte (Gault Millau)
2002 Laurent Perrier Vintage
2010 Petite Arvine, Jean René Germanier Vétroz, Wallis, Schweiz
2010 Riesling, Weingut Nigl, Kremstal, Österreich
2007 Spätburgunder, Knipser, Kalkmergel. Pfalz
2007 Syrah, Alibaba Vinattieri, Tessin, Schweiz
2006 Ostatu DOC Rioja Reserva, Bodegas, Ostatu, Spanien
2005 Taylors Late Bottle, Vintage
2009 St. Saphorin AOC, Phlox Sélection des Grains Noble
2010 Mino Gialdi Mendrisio
 - Direkter Vergleich zwischen Wein und Saft
Ananas Basilikum
Karotte, Zimt, Orange
Grapefruit, Jasmin Eistee
Anis, Birnen Limonade
Grüner Ingwer Eistee
Mango Kreuzkümmel
Cassis Veilchen
Rhabarber Galgant Jus

Anzahl der Positionen 560
Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte? Da die Schweizer Winzer immer experimenteller und mutiger werden, habe ich mich auf Schweizer Weine fokussiert.
Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche? 59,-CHF/2600,-CHF
Die ungewöhnlichste Rarität? Als wir vor vier Jahren den Betrieb übernahmen und ich den Weinkeller aufgeräumt habe, habe ich eine Flasche Beaujolais (Fleurie) aus dem Jahr 1956 gefunden, der natürlich nicht mehr trinkbar war.
Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate? Ostatu Hazienda, 2007.
Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate? Aus Spanien: Der Priorat, Lo Mon 2008, Trauben Grenache, Garignan, Cabernet Sauvignon, Syrah - 12 Monate im Barrique Fass gelagert.
Ihr Lieblingswein? Weshalb? Sancerre (Sauvignon blanc). Das süß-saure Spiel der Sauvignon blanc-Trauben aus den Loire-Tal gefällt mir sehr gut, sowie die mineralischen Noten des Tuffsteins.
Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? Ich durfte eine Salmanazar-Flasche (9 Liter) für 6 Personen öffnen. Na dann mal Prost!
Küche
Lehrlinge im ersten Jahr: Samuel Bron, Nicolai Wieder,
Lehrling im dritten Jahr: Kay Mettier
Sous chef: Marco Böhler
Demi sous chef: Fabian Wehrli
Chef gardemanger: Stefanie Rappe
Chef de Partie Entremetier: Julie Jaberg
Commis de Cuisin: Anna Zürcher
Chef Patissier: Julien Duvernay
Demi Chef Patissier: Alexander Hiller
Commis de Cuisin/Patisserie: Daniela Capela
Service
Chef de Service: Benjamin Gilly
Demi Chef de Service: Sina Hiller
Sommelier: Jan Brämer + René Graf
Commis de Rang: Erika Swedik
Lehrlinge im ersten Jahr: Stefan Klugger, Rahel Hahn, Kira Lareida
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